LÄHMUNG

 

Angefangen hat es eigentlich wieder mal ganz harmlos. Nämlich mit einer Gallenkolik. Bei mir allerdings nahmen die Schmerzen – durch meine bereits bestehende Leberschädigung – ein solches Ausmaß an, dass man nicht umhin kam den Notarzt zu rufen und mich ins Krankenhaus zu bringen.

 

Gesagt, getan. Hätten meine Eltern und ich nur geahnt welche Folgen die Einlieferung ins örtliche Hospital für mich haben würde so hätten wir sicher darauf bestanden dass ich in die Uniklinik Freiburg komme. Ich hatte zum selben Zeitpunkt (3 Tage vor Weihnachten 96) auch Aszitis (Wassereinlagerungen im Bauchraum) und sah aus als wäre ich im 6. Monat schwanger.

Das mag sich jetzt lustig anhören, aber ich denke so kann man sich ein Bild davon machen! Ich wusste von meinen Ärzten in der Uniklinik dass so etwas passieren kann und da man niemals punktieren darf, weil dies unkontrollierbare Folgen haben könnte. Vielmehr muss man versuchen die Flüssigkeit mittels einer stark erhöhten Dosis an wassertreibenden Medikamenten wie Aquafor, Detyde H, Aldactone und ähnlichen Präparaten auszuschwemmen.

 

Wie dem auch sei, man gab mir in Lörrach krampflösende Infusionen und innerhalb 2 Tage waren die Schmerzen weg. Was blieb war die Aszitis. Da ich bereits mit der Einnahme von entwässerndenden Medikamenten begonnen hatte und diese auch Wirkung zeigten glaubte ich entlassen zu werden. Immerhin war mittlerweile der 23. 12. 96. Doch es kam alles anders. Der übereifrige Stationsarzt, Dr. Rolf K. kam mit einer Punktionsnadel und einem Eimer ins Zimmer und meinte: „ich punktiere sie jetzt damit sie die Flüssigkeit im Bauch los werden!“

 

Ohne jegliches Einverständnis meinerseits setzte er sein Vorhaben in die Tat um. Ich informierte ihn noch das ich bereits mit der Einnahme von Tabletten begonnen hatte, aber das schien ihn herzlich wenig zu interessieren. 8!!! Liter Flüssigkeit lies er mir auf einen Schlag ab. Und damit begann das Drama, das mich erneut fast das Leben gekostet hätte.

 

Denn der schlagartige Verlust dieser großen Menge Wasser und der damit verbundenen Mineralstoffe und Eiweiße rief bei mir die vorhergesagten unerwarteten Folgen hervor. Binnen weniger Stunden musste ich den kompletten Verlust des gesamten Bewegungsapparates sowie die Fähigkeit zu sprechen und auch Schlucken- oder Kauen zu können hinnehmen. Eben jene nicht vorhersehbaren Folgen! Und es kam noch schlimmer! Am 1. Weihnachtstag musste ich wegen der mittlerweile lebensgefährlichen Situation auf die Intensivstation verlegt werden. (Ich war in der vorherigen Nacht aus dem Bett gefallen) Ich kann nur sagen das ich in jener Dezembernacht mehr als einmal an der Schwelle ins Jenseits stand und um mein Leben gekämpft habe. Ich habe schließlich nach qualvollen 10 Stunden gewonnen. Danach wurde ich dann endlich in die Uni Klinik Freiburg gebracht, und zwar per Hubschrauber!!

 

In Freiburg waren die Ärzte entsetzt über meinen Zustand. Ich höre es noch heute wie Fr. Dr. Bettina R. sagt: Um Gottes Willen Hr. Müller, was hat man mit ihnen gemacht? Sofort wurden Untersuchungen wie Kernspintomographie, Computertomographie usw. veranlasst um feststellen zu können was die Lähmung ausgelöst hatte. Die absolute Priorität dabei jedoch hatte die Stabilisierung meines Gesundheitszustandes, was den Ärzten auch innerhalb 24 Stunden gelang. Mir wurde eine PEG (Magensonde zur künstlichen Ernährung) gelegt damit ich etwas zum verdauen in den Magen bekam und bei Kräften blieb. Nachdem ich dann einige Tage zur Überwachung auf die Verträglichkeit der künstliche Nahrung dabehalten wurde, kam ich in die Reha-Klinik Bad Krozingen

 

In einem Einzelzimmer vegetierte ich den ganzen Tag vor mich hin. Ich konnte noch nicht einmal die Glocke für den Schwesternruf betätigen und war dem Wohlwollen der Pfleger und Schwestern hilflos ausgeliefert! Mir wurden Windeln wie einem Baby angelegt damit ich meine Notdurft tätigen konnte. Ich jedoch war 32 und denke das kaum jemand sich vorstellen kann welch erniedrigendes Gefühl es ist sich nach dem Stuhlgang von einer 17 jährigen Pflegeschülerin den Hintern abwischen zu lassen. Ich habe mich unendlich geschämt. Es gibt keine Worte um meine Empfindungen zu beschreiben, denn ich hatte immer das Gefühl das sie sich über mich lustig macht.

 

Jedenfalls fing man irgendwann an mit mir Krankengymnastik, Sprech- und Schluckübungen zu machen. Dazu bekam ich 2 bzw. 1 Krankengymnastin zugeteilt Das Ganze forderte anfangs meinen ganzen Willen und war enorm anstrengend, doch ich war zu keinem Zeitpunkt bereit mich in mein Schicksal zu fügen geschweige denn aufzugeben. Das Gegenteil war der Fall. Wenn  irgend etwas nicht gleich klappte war das für mich umso mehr ein Ansporn und ich arbeitete verbissen an mir um es zu schaffen. Schließlich hatte sich die gesamte Muskulatur innerhalb dieser 2-3 Wochen die ich gelähmt war  fast vollständig zurückgebildet und man konnte nicht erwarten von jetzt auf gleich etwas zu bewältigen. Ich habe den Krankengymnastinnen Manuela B. und Kerstin M.-T., die Beiden leisteten unglaubliches, vieles zu verdanken und mein Gesundheitszustand besserte sich zusehends, denn sie konnten und wollten nicht einfach nur Krankengymnastik machen und waren zu keinem Zeitpunkt bereit aufzugeben. Vom Ehrgeiz gepackt schafften wir gemeinsam innerhalb kürzester Zeit das was NIEMAND Wochen vorher für möglich gehalten hat und an ein Wunder grenzt.

 

Ich konnte wenige Meter laufen!!!

 

Auch Nicole S., die dritte im Bunde der 3 exzellenten Damen vollbrachte eine ungeheure Leistung. Ihr 3 Manuela, Kerstin und Nicole euch merkt man an das dies für Euch nicht nur ein Beruf ist.

 

An Manuela und Kerstin:

 

Ich kann nicht in Worte fassen wie dankbar ich Euch Beiden bin. Ohne Eure Hilfe hätte ich es NIE geschafft und wäre wohl Zeit meines Lebens an den Rollstuhl gefesselt gewesen!.

Ihr Beide habt immer an mich geglaubt habt mit mir die, vielleicht härteste Zeit meines Lebens durchgestanden, seid den Weg mit mir gemeinsam gegangen, habt mich aufgebaut wenn ich mal wieder am Boden war und alles hinschmeißen wollte.

Ich werde niemals vergessen was Ihr für mich getan habt.

 

An Dich Nicole:

 

Du hast mir in mühsamer Arbeit wieder Sprechen und Schlucken beigebracht. Ich weiß gar nicht wie oft du in Deckung gehen musstest wenn ich mich wieder mal verschluckt hatte. Aber du hast es immer mit Humor genommen. In mühevoller Kleinstarbeit und mit viel Geduld nie aufgegeben und unermüdlich mit mir daran gearbeitet bis ich wieder Sprechen und Schlucken konnte, wenn auch noch mit großen Schwierigkeiten.

Dir ein ganz besonderes Dankeschön für die Unermüdlichkeit in deinem Tun, denn du bist weit über die Grenzen deiner eigentlichen Tätigkeit als Therapeutin hinausgegangen. Du hast es möglich gemacht dass ich wieder mit meinen Mitmenschen kommunizieren kann. Auch wir Beide haben gemeinsam ein Stück dieses harten Wegs zurückgelegt. Hast mir immer wieder Mut gemacht wenn ich wieder am verzweifeln war und gar nichts mehr ging. Auch Dir werde ich niemals vergessen was du für mich getan hast!

 

An Dich mein lieber Freund Oliver:

 

Als Du erfahren hast was passiert war hast du alles stehen und liegen gelassen, deine Pferde Pferde sein lassen, dich ins Auto gesetzt und bist mitten in der Nacht den weiten Weg von Leverkusen zu mir gefahren. Nur um mich zu sehen. Denn für Dich gab es Nichts wichtigeres in diesen Tagen. Wann immer  etwas bei uns in der Familie passiert Du bist da! Kein Weg ist Dir zu weit!

Danke Oli das es Dich gibt.

 

An Dich mein bester Freund Stefan:

 

Bist mir immer ein treuer Freund gewesen; in guten wie in schlechten Tagen und bist es heute noch. Du bist immer da wenn ich dich brauche, oder wenn ich nicht mehr weiterweiß. Ich denke da nur zurück an die Zeit als ich meinen Beruf als Fernfahrer aufgeben musste und in schwerste Depressionen fiel. Auch während dieser harten Tagen  und  der anschließende Genesungszeit waren Du und Deine Familie immer für mich da.

Auch Dir gilt ein besonderer Dank.

 

An alle anderen Freunde:

 

Birgit, Dagmar, Katrin, Jürgen , Rainer und alle anderen die ich vergessen habe zu erwähnen.

Ohne euch alle wäre vieles anders gekommen. Ihr alle habt mir immer wieder Mut gemacht, für mich gebetet und vieles andere.

 

Du lieber Jürgen hast immer gesagt der Herr sieht alles, er hält seine Hand über Dich, du musst es nur zulassen.

Ich habe dir damals erwidert das ich mit Gott nicht viel am Hut habe. Heute weiß ich Du hattest recht. Und alle anderen auch. Ich schäme mich nicht zu sagen: Ja es gibt einen Gott. Denn sonst könnte ich dies hier nicht schreiben:

Danke Euch allen dafür das ihr mir zur Seite gestanden habt!

 

An Dich meine liebe Mutter:

 

Dir gilt mein größter Dank, denn du warst von der 1. Minute an an meiner Seite. Ich habe oft die Verzweiflung in Deinen Augen gesehen, denn du warst machtlos. Und trotzdem bist du jeden, wirklich jeden Tag bei Wind und Wetter, ob Schnee oder Eis, ob du krank warst oder nicht, all das spielte für Dich keine Rolle, von Basel zu mir gefahren um stundenlang nur am Bett zu sitzen und meine Hand zu halten. Auch während der 2 Jahre im Pflegeheim warst du fast jeden Tag da, hast mich gefüttert wenn meine Hände  vor lauter Anstrengung den Dienst versagten.  Ich habe Dir nie sagen können wie viel Kraft Du mir damit gegeben hast. Darum schreibe ich es hier. Du bist die beste Mutter die man sich wünschen kann.

Und dafür danke ich dir.